Börse Berlin – Zwei Marktplätze unter einem Dach
Artikel von Artur Fischer und Dr. Jörg Walter
erschienen in der Sonderbeilage "60 Jahre Börsen-Zeitung"
30. März 2012
Die Börse Berlin wird am 29. Juni 327 Jahre alt, im März feierte man 60 Jahre Wiedereröffnung nach dem 2. Weltkrieg. Eine kleine Parallele zur Börsen-Zeitung übrigens, der wir an dieser Stelle herzlich zum Sechzigsten gratulieren. Um über so lange Zeit zu bestehen, musste sich auch die Börse Berlin auf die rasant wachsenden Veränderungen am Finanzmarkt einstellen. Mut zur Innovation war gefragt. Ob es die Handelszeiten waren, die wir als erste Börse 1995 den Bedürfnissen der Privatanleger folgend verlängerten, die Einführung neuer Produkte, die Aufhebung der Präsenzpflicht der Skontroführer oder die Implementierung innovativer Handelssysteme. Die letztgenannte Initiative hat dazu geführt, dass die Börse Berlin heute die einzige Regionalbörse ist, die zwei Marktplätze betreibt. In Ergänzung zu dem auf inländische Privatanleger ausgerichteten Handelssystem Xontro, das bis heute das wirtschaftliche Rückgrat der Börse Berlin bildet, wurde das Ziel einer Ausweitung des Dienstleistungsangebotes hin zu einem paneuropäischen Ansatz bereits erstmals im März 2003 umgesetzt. Nach der Fusion mit der Börse Bremen wurde in enger Zusammenarbeit mit Banken und einem internationalen Betreiber von Wertpapierhandelssystemen, der Nasdaq, die Anleger-Plattform Nasdaq Deutschland in Betrieb genommen. Damit trat zum ersten Mal eine deutsche Regionalbörse in direkten Wettbewerb mit der Deutschen Börse und deren elektronischer Handelsplattform Xetra. Privatanleger sollten eine echte Alternative haben und von der neuen Wettbewerbssituation profitieren. Günstigere Transaktionskosten, eine sofortige und volle Ausführung und die bestmögliche Preisfindung waren die hervorstechenden Merkmale der neuen Plattform. Dem Projekt blieb letztendlich der verdiente Erfolg versagt, vor allem weil die Nasdaq im Jahre 2003 in Folge der geplatzten Dot.com-Blase ihre europäischen Aktivitäten vollständig einstellte.
Trotz dieses Rückschlags blieb der Grundgedanke, neben dem Xetra-Handel eine zeitgemäße, schnelle Plattform für den Handel europäischer Blue Chips zu schaffen, in Berlin weiter lebendig, denn die zugrundeliegende Idee war richtig. Prinzipien, wie der Grundsatz des besten Preises, wurden sogar 2007 in die EU Finanzmarktrichtlinie MiFID aufgenommen. Nicht mehr durch Konzentration der Liquidität auf einen Börsenplatz sondern durch mehr Wettbewerb und damit geringere Kosten, durch höhere Ausführungsqualität und damit mehr Anlegerschutz sollte die Handelsqualität dauerhaft verbessert werden. Auch die zunehmende Beschleunigung des Handels aufgrund immer leistungsfähigerer Informationstechnologie führte zu einschneidenden Veränderungen im Wertpapierhandel. Die Investition der Börse Berlin in Equiduct mit Sitz in London war die Antwort auf diese neuen Herausforderungen.
Mit diesen zwei auf die jeweils unterschiedlichen Nutzerbedürfnisse ausgerichteten Handelsplattformen ist die Börse Berlin für die künftigen Herausforderungen bestens gerüstet.
Der maklergestützte Xontro-Handel bietet für den privaten inländischen Anleger das gesamte Spektrum an Wertpapieren mit den Schwerpunkten internationale Aktien und Anleihen. Das zugrunde liegende Marktmodell gewährleistet, dass Anleger auch in weniger liquiden Werten stets einen marktgerechten Preis bei der Ausführung ihrer Order erhalten. Der Skontroführer spendet Liquidität bei wenig gehandelten Titeln, sorgt über ein Limit Control System für das Auslösen von Stop-Loss-Orders bei fehlender Gegenseite und verhindert wirtschaftlich nicht sinnvolle Teilausführungen, um die Gebühren für den Privatanleger möglichst niedrig zu halten. Informierte und risikobereite Anleger finden neben Werten aus den großen Indizes vor allem Papiere aus der zweiten und dritten Reihe. Gerade beim Handel in den letztgenannten Instrumenten profitieren Anleger von den strengen Liquiditätsverpflichtungen, die Skontroführer einhalten müssen. So ist eine hohe Handelsqualität auch für diese Titel gewährleistet – und das börsentäglich von 08:00 bis 20:00 Uhr.
Der Marktplatz Equiduct ist auf den Handel mit europäischen Blue-Chips ausgerichtet. Durch die Berechnung des Besten Preises erhielten Anleger z.B. im Februar 2012 bei 27 Prozent aller auf Equiduct ausgeführten Trades einen besseren Preis als am Heimatmarkt der Aktie. Ein Vorteil, von dem bisher allerdings nur die Anleger im europäischen Ausland profitieren können. Deutsche Banken sind bis dato noch nicht an Equiduct angeschlossen, was wohl auch auf die besondere Situation in Deutschland zurückzuführen ist. Anders als in anderen europäischen Staaten haben Anleger hier bereits die Wahl zwischen mehreren Regionalbörsen, weshalb den Banken der Anschluss an weitere Handelsplätze – aus unserer Sicht zu Unrecht - zweitrangig erscheinen mag.
Das Inkrafttreten von MiFID am 1. November 2007 markierte den Beginn der Harmonisierung der europäischen Finanzmärkte und der zunehmenden Verlagerung von Entscheidungen über die regulatorischen Rahmenbedingungen in die EU. Dennoch wird die Börse Berlin als Träger eines paneuropäischen Marktplatzes immer wieder mit den unterschiedlichsten Hürden konfrontiert. Um europäischen Retail-Banken ein attraktives Handelsumfeld zu bieten, ermöglicht ihnen die Börse Berlin beim Handel auf Equiduct die Abwicklung ihrer Geschäfte über ihre jeweiligen nationalen Clearinghäuser (Zentrale Kontrahenten bzw. CCPs). Handelsteilnehmer können ihre Geschäfte über drei CCPs verrechnen lassen. Aktuell sind dies LCH Clearnet SA (für französische, belgische, niederländische und portugiesische Werte), LCH Clearnet Ltd. (für britische Titel) und Six x-clear AG (für deutsche und schweizer Werte).
Im Herbst 2011 wurde der Handel mit italienischen Titeln auf Equiduct aufgenommen. Mit dem Anschluss an den italienischen Zentralen Kontrahenten Cassa di Compensazione e Garanzia (CC&G) sollte die Abwicklung italienischer Aktien über einen nationalen Clearer ermöglicht werden. Hier stieß man jedoch auf ein Problem, das aus der Ausrichtung der EU Finanzmarktrichtlinie (MiFID) resultiert. Die 2007 in Deutschland implementierte Richtlinie beschäftigte sich ausschließlich mit dem Wertpapierhandel, nicht aber mit dem auf den Handel folgenden Clearing. Als Resultat wurden die nationalen Hürden für diesen Bereich nicht abgebaut, eine einheitliche europäische Aufsicht über CCPs existiert nicht. Auch ist die Dienstleistung eines Zentralen Kontrahenten nicht EU-Pass-fähig. Das bedeutet, dass die nationale Erlaubnis eines CCPs Wertpapiergeschäfte abzuwickeln, außerhalb des Heimatlandes nicht zwingend anerkannt werden muss. Will ein Clearinghaus also innerhalb von Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums tätig werden, muss es gegebenenfalls die Zulassung für das jeweilige europäische Land neu beantragen. Die Regulierung ist dabei in jedem europäischen Land unterschiedlich. So gilt die Dienstleistung eines Zentralen Kontrahenten in Deutschland als erlaubnispflichtiges Bankgeschäft. Er kann nur im Einzelfall von der Erlaubnispflicht freigestellt werden. Die notwendige Zulassung braucht der Zentrale Kontrahent selbst dann, wenn das Interesse der inländischen Anleger nicht negativ berührt ist. So ist der Anschluss der Börse Berlin an LCH Clearnet SA lediglich ein Service für die französischen Retail-Banken, die damit die Wertpapiergeschäfte, die ihre französischen Kunden in französischen Papieren auf Equiduct tätigen, über ihren nationalen Zentralen Kontrahenten abrechnen können. Dennoch benötigte die LCH Clearnet SA entweder eine Erlaubnis zur Erbringung von Bankgeschäften in Deutschland oder ein Befreiung von der Erlaubnispflicht. Den gleichen Service wollte die Börse Berlin auch den italienischen Retail-Banken für die Geschäfte ihrer italienischen Kunden bieten. Da die in Italien als Zentraler Kontrahent zugelassene Cassa di Compensazione e Garanzia (CC&G) in Deutschland nicht von der Erlaubnispflicht befreit wurde, sie sich aber auch nicht einer weiteren Aufsicht unterwerfen wollte, können italienische Banken ihre Geschäfte in italienischen Aktien nicht über CC&G verrechnen, was für die Börse Berlin zu einem Wettbewerbsnachteil führt. Die Verrechnung findet aktuell über LCH Clearnet Ltd. statt.
Probleme dieser Art stellen für kleine Unternehmen wie die Börse Berlin eine fast unüberwindbare Herausforderung dar. Hier ist vor allem die Politik gefragt, die noch bestehenden Schranken konsequent zu beseitigen und die Harmonisierung der europäischen Finanzplätze voranzutreiben. MiFID war ein erster Schritt in die richtige Richtung, dem nun weiter reichende Reformen folgen sollen. So wird die Harmonisierung der Aufsicht über die europäischen Clearinghäuser voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2012 mit Inkrafttreten der European Market Infrastructure Regulation (EMIR) erreicht werden. Diese neue Verordnung regelt die Bedingungen für die Zulassung von Zentralen Kontrahenten europaweit. Als Verordnung gilt EMIR unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten der EU, so dass eine einheitliche Umsetzung gewährleistet ist. Damit macht Europa auch einen weiteren Schritt in Richtung Anlegerschutz, denn Zentrale Kontrahenten sind ein wichtiges Glied zur Minimierung der Kontrahentenausfallrisiken. Der Anschluss weiterer Zentraler Kontrahenten an die Börse Berlin wird sich dann einfacher und schneller bewerkstelligen lassen.
Die im Oktober 2011 von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge für eine weitergehende Regulierung von Finanzmärkten und Wertpapierdienstleistungen werden für eine weitere Harmonisierung des europäischen Finanzmarktes sorgen. Zusätzlich zur umfassenden Überarbeitung der aktuell geltenden MiFID, MiFID II genannt, ist eine neue Verordnung geplant, die sogenannte Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR). Während es sich bei der MiFID um eine Richtlinie handelt, die den Mitgliedsstaaten einen Ermessensspielraum bei der Umsetzung in nationales Recht einräumt, handelt es sich bei der MiFIR um eine Verordnung, die ebenso wie EMIR in allen Mitgliedsstaaten direkt gelten wird. Mit der Implementierung von EMIR, MiFID II und MiFIR wird die Europäische Union dem Ziel eines gemeinsamen Binnenmarktes im Bereich des Kapital- und Zahlungsverkehrs einen weiteren Schritt näherkommen. Davon profitiert die Börse Berlin als Betreiberin des paneuropäischen Marktplatzes Equiduct nachhaltig. Die neuen Richtlinien und Verordnungen werden es in Zukunft einfacher machen, auf Equiduct die Blue Chips aller Mitgliedsstaaten des europäischen Wirtschaftsraums zu handeln und damit allen EU-Bürgern die Beste Ausführung zu bieten.
Erste Erfolge der auf zwei Marktplätzen fußenden Strategie zeichnen sich bereits ab. Im Vergleich zum Jahr 2010 nahm der Umsatz auf den beiden Marktplätzen Xontro und Equiduct 2011 um insgesamt 308 Prozent zu. Die Anzahl der Geschäfte erhöhte sich im gleichen Zeitraum um 430 Prozent. Besonders positiv entwickelte sich dabei der Handel auf Equiduct. Mit einem Umsatz von 33,7 Mrd. Euro legte der Handel 2011 verglichen mit 2010 um 710 Prozent zu. Damit hat sich Equiduct als einer der am schnellsten wachsenden Handelsplätze in Europa etabliert. Aber auch im Skontroführer-Handel wurde ein Umsatzplus von 86 Prozent erzielt. Die Zahlen zeigen, dass die Börse Berlin mit zwei Marktplätzen den neuen Herausforderungen gewachsen ist und von der Europäisierung des Kapitalmarktes bereits jetzt profitiert.
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